Herz über Angst
Anlässlich eines Fallbeispiels, in dem die Angst alle kommunikative Kompetenz zu blockieren drohte, berichtete ich den Teilnehmern meiner Übungsgruppe von Debra Landwehr Engles Buch „Sieben kleine Worte“. „Bitte heile meine auf Angst basierenden Gedanken“, heißt ihr Mantra gegen die Angst. Das sieben Worte zählende kleine „Gebet“ kam der Autorin in den Sinn, als Angst und Sorgen sich in ihrem Denken breit machten und ihre Lebensqualität litt. Die Autorin empfiehlt, diese Worte an eine unterstützende Kraft außerhalb von uns selbst zu richten, wann immer unser Verstand Angst und Sorgen produziert.
Allgemeine Betrachtungen, ein Beispiel und ein Rezept
In der Übungsgruppe machten wir uns klar, wie unsere Entscheidung – für die Angst oder die Liebe – unseren Kommunikationsprozess beeinflussen würde. Lesen Sie hier mehr dazu und lassen Sie ein konkretes Beispiel aus der beruflichen Praxis auf sich wirken. Am Ende des Textes finden Sie dann ein „Rezept“, das Sie unterstützen kann, wenn es wieder einmal „eng“ wird.
Der Verstand liebt das Drama
Kennen Sie das? Sie sorgen sich um ihre finanzielle Situation, ihre Gesundheit, ihren Job, die Menschen, die sie lieben… Achten Sie einmal darauf, wie oft Sie sich in Gedanken mit solchen auf Angst basierenden Szenarien beschäftigen. Ich bin sicher, Sie werden erstaunt sein, was da so alles zusammenkommt. Häufig geht es schon beim Aufwachen los. In meinen „schlimmsten“ Zeiten startete dieses desaströse Gedankenkarussell Tag für Tag bereits gegen 4:00 Uhr in der Früh. Stellen Sie sich selbst einmal die Frage, ob Sie solche Grübelei jemals weitergebracht hat.
Stresshormone schalten uns in der Kommunikation auf „Reptilien-Gehirn“
In der Kommunikation wirft uns die Angst durch die Ausschüttung von Stresshormonen auf den ältesten Teil unseres Gehirns zurück, das so genannte „Reptilien-Gehirn“. Wir verfügen dann nicht mehr über die souveränen und erwachsenen Kommunikationsstrategien unserer Großhirnrinde. Während wir, verbunden mit unserem Herzen, offen und weit reagieren, engt die Angst unseren Fokus ein. Wir kämpfen, entziehen uns oder sind in der Kommunikation blockiert.
Angst blockiert unser Mitgefühl
In uns machen sich kindliche Angstfantasien breit, die da heißen: nicht gesehen, nicht gehört, nicht ernst genommen, nicht wertgeschätzt … zu werden. Unbewusst übertragen wir unsere alten Ängste auf unsere aktuelle Kommunikationssituation.
Sind wir mit unserem Herzen verbunden, vertrauen wir darauf, dass wir und unser Kommunikationspartner aus einem Bedürfnis heraus reagieren. Angst hingegen blockiert unser Mitgefühl und unsere Kreativität.
Wir glauben an das Schuldprinzip
Wir verzetteln uns in einer Geschichte, die wir uns selber erzählen. Unser Herz zeigt uns zuverlässig den Weg zu einer Lösung, die beiden Kommunikationspartnern dient. Angst verleitet uns dagegen, an das Schuldprinzip zu glauben: Einer von uns beiden ist falsch, hat Schuld – und sollte sich anders verhalten. Die Liebe schenkt uns das Vertrauen, dass beide Kommunikationspartner o.k. sind.
Liebe ermöglicht die Verbindung mit uns selbst
Verbunden mit unserem Herzen sind wir in der Lage, alle Gefühle, auch Traurigkeit, Angst und Ohnmacht, unbeschadet zu fühlen und die damit assoziierten Körperempfindungen wahrzunehmen. Unter Angst wird unsere Atmung flach, wir geraten in Anspannung und empfinden unseren Körper als Last.
Wie sich Peter K. aus Angst für eine ungute Vermeidungsstrategie entscheidet
Da ist z. B. der Teamleiter Peter K., der einen personellen Engpass in einer Arbeitsgruppe ausgleichen muss. Sofort fällt ihm seine Mitarbeiterin Monika P. ein, die über ein besonders breites Qualifizierungsprofil verfügt. Eigentlich müsste er sie nun ansprechen und ihr von seinem Vorhaben berichten, sie für eine begrenzte Zeit in der anderen Gruppe auszuhelfen zu lassen. Weil er aber Widerstand erwartet, vermeidet er aus Angst vor einem Konflikt das Gespräch. Er schreibt ihr eine Mail, in der er ihr mitteilt, dass sie ab nächsten Montag auf unbestimmte Zeit in der anderen Gruppe aushelfen wird.
Wie die Angst bei Monika P. zu einer Fehleinschätzung führt
Monika P. interpretiert sein Verhalten auf der Grundlage ihrer eigenen Angst. Bestimmt, so vermutet sie, möchte man sie loswerden. Wahrscheinlich wird sie nie wieder in ihre alte Arbeitsgruppe zurückkehren dürfen. Sie befürchtet, die ihr so wichtige Zugehörigkeit zu ihren Kollegen und Kolleginnen zu verlieren und erlebt die Versetzung als Degradierung. Auf die Idee, dass der Chef sie aufgrund ihrer breiten Qualifikation für diese Arbeit ausgewählt hat, würde sie im Traum nicht kommen.
Ihr bleibt sprichwörtlich die Luft weg
Nun bleibt ihr sprichwörtlich die Luft weg. Würde sie sich Zeit nehmen, wäre sie in der Lage, zu bemerken, dass es sich in ihrem Körper eng anfühlt. Sie würde wahrnehmen, wie sie ihre Muskulatur anspannt, wie sich Druck aufbaut. Ärzte beobachten jeden Tag, wie angstvolle Gedanken psychosomatische Wirkungen hervorrufen und unseren Körper auf Dauer schädigen.
Verurteilung verhindert Verbindung
Sicher wäre es in dieser Situation das Beste, wenn sie ihren Chef direkt auf die Sache ansprechen würde. Ihre auf Angst basierenden Gedanken halten sie jedoch davon ab, Verbindung aufzunehmen. Stattdessen ruft sie eine Kollegin an. Im Gespräch lässt sie kein gutes Haar an ihrem Chef. Der Graben zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten wird tiefer.
Angst und Empathie sind kein Dream-Team
Wichtig wäre es jetzt, sich Klarheit über die Gefühle und Bedürfnisse, die eigenen und die des anderen, zu verschaffen. Täte sie dies, würde sie vermutlich wahrnehmen, dass sie traurig ist und gerne einbezogen worden wäre. Weiterhin würde sie feststellen, dass sie eine Antwort auf die Frage braucht, warum der Chef sie ausgesucht hat. So würde sie bemerken, dass sie für ihre Sicherheit eine klare Aussage darüber braucht, wie lange die Versetzung in die andere Gruppe andauern wird. Nach diesem Akt der Selbstempathie wäre sie schließlich auch in der Lage, in einem Gespräch zu erfassen, dass der Chef dringend Unterstützung braucht und dass es nicht etwa mangelnde Wertschätzung, sondern vielmehr eine Angst seinerseits war, die ihn davon abhielt, mit ihr zu sprechen. Ein Gespräch auf Augenhöhe würde möglich.
Misstrauen steht einem friedlichen Miteinander im Weg
Sind wir mit der Angst verbunden, laufen wir mit einem „Problem-Radar“ durch die Welt. Unsere Wahrnehmung ist auf „nicht genug“ und „bedrohlich“ ausgerichtet.
Die Absage einer Freundin wird zum persönlichen Affront, die Entscheidung eines Chefs zur Degradierung, das Verhalten von Kindern zur Respektlosigkeit und die Äußerung eines Kollegen zum Mobbing.
Frieden fühlt sich anders an.
Rezeptvorschlag – so könnte es gelingen:
- Monika nimmt wahr, dass sie „ausgelöst“ ist und legt das Telefon, das sie bereits in der Hand hält, um ihre Kollegin anzurufen, wieder weg. Sie atmet dreimal tief durch und legt zur Unterstützung die Hand auf ihr Herz.
- Die Worte „Bitte heile meine auf Angst basierenden Gedanken“, die sie je nach Situation und persönlicher Vorliebe leise oder laut ausspricht, helfen ihr, Abstand zu ihren angstvollen Gedanken zu gewinnen. Sie wiederholt sie so lange, bis keine angstvollen Gedanken mehr hochkommen.
- Kurz darauf ist sie in der Lage, die Traurigkeit und Ratlosigkeit zu fühlen, die sich in ihr ausbreitet. Je öfter sie dies tut, desto mehr gelingt es ihr, die Verbindung mit sich selbst auch in schmerzhaften Situationen zu genießen. Um nicht von unangenehmen Gefühlen vollkommen überschwemmt zu werden, stellt sie sich beim Fühlen vor, gleichzeitig als Beobachterin ihrer eigenen Gefühle sicher in einem Hubschrauber über sich zu schweben. Statt „ich bin traurig“ sagt sie sich „da ist Traurigkeit, ich bin mehr, es ist o.k.“.
- Jetzt kann sie auch wahrnehmen, wie sie die Luft anhält und sich anspannt. Sie atmet ein paarmal bewusst in die Enge im Hals, im Bauch … . Schon bald spürt sie, wie sich Ruhe ausbreitet.
- Sie weiß jetzt sicher, dass sie Klarheit in der Sache braucht.
- Sie stellt sich intensiv vor, dass diese Klarheit möglich ist und fühlt, wie es sich anfühlen wird, wenn sich ihr Bedürfnis erfüllt.
- Sie greift erneut zum Telefon und ruft ihren Chef an. Ihr Ziel ist Verbindung. Sie telefoniert in dem Vertrauen, dass Klärung möglich ist.
„Herr K., ich habe Ihre Mail bekommen. Ich habe dazu einige Fragen. … Wären Sie bereit, mir zu sagen, warum Sie sich dafür entschieden haben, mich „auszuleihen“? … Wie lange werde ich in der anderen Gruppe aushelfen? … Mir macht meine derzeitige Arbeit Spaß und die Verbindung mit meinen Kollegen bedeutet mir viel. Ist es möglich, einen verbindlichen Termin zu vereinbaren, an dem ich spätestens in meine alte Gruppe zurückkehren kann?“
5 Kommentare zu Herz über Angst. Anregungen aus der Praxis der Gewaltfreien / Wertschätzenden Kommunikation
Liebe Beate,
ich möchte mich noch einmal auf diesem Wege bei dir bedanken, dieses Vertiefungsseminar dieses Wochenende hat mich wieder ein zu Stück näher zu mir selbst gebracht, mir ist sogar aufgefallen, das ich deutlich weniger geredet habe als noch beim Einführungsseminar 🙂
Auch der Satz`seit geduldig mit euch …..`hat mir sehr gut getan, denn ich setzte mich, glaube ich, ständig selber unter Druck alles möglichst schnell zu kapieren und umzusetzten….. das Leben spielt oft eine andere Melodie !
Danke und wir sehen uns ganz bestimmt wieder
lg Mary aus Remscheid
Liebe Beate,
ich bin diejenige, die Dir beim Thom Bond – Seminar voriges Jahr tief in die Augen gesehen hat – und umgekehrt. Ich möchte Dir sehr danken für dieses wunderbare Beispiel für die Botschaft, die auch ich mitgenommen habe: Wir tragen einen „selbstreinigenden Backofen“ bei uns, wenn wir Selbstempathie üben und praktizieren. Dass es aus dem Berufsleben ist, gefällt mir besonders, weil ich mich in diesen Bereichen eher nicht bewege und ich immer mal wieder zu hören kriege: „Ja, das mit der GFK ist ja schön und gut, aber im Berufsleben taugt das einfach nicht.“ Ich selbst habe aus dem „Steinbruch“ des Seminars 6 Seminareinheiten gemacht, die mich in beiden Gruppen, die ich habe, über ein Jahr „getragen“ haben.
Ich freue mich, dass Du mich noch in Deinem Verteilers führst. Diese heutige Botschaft hat mich besonders beeindruckt, weil ich von anderen Seminarleiterinnen solche „Appetitshappen“ nicht kenne. Sie erinnert mich an das Geben von Herzen – so wie ein Kind Enten füttert!
Ich danke Dir von Herzen für diesen schönen Ostergruß. Sehen wir uns vielleicht am nächsten Wochenende in Darmstadt? Ich bin von Freitag bis Sonntag dabei.
Herzliche Grüße
Karin aus Essen
Liebe Karin,
schön, dass Du mit meinem Blog etwas anfangen konntest. In Darmstadt werde ich nicht sein. Vielleicht sehen wir uns an anderer Stelle wieder.
Bis dahin LG
Beate Waltrup
Hallo Beate,
Danke für den Beitrag. Befinde mich gerade in einer schwierigen Situation und der Beitrag trifft es . Hab mir das kleine „Gebet“ notiert und werde versuchen Deine Gedankenanstösse in meinen Alltag zu integrieren. Vielleicht hört dann das ohnmächtig Gefühl auf und ich kriege wieder etwas Boden unter die Füße ☺
Dir auch frohe Ostertage.
LG
Karola Ortmann
Liebe Karola,
bestimmt werden die 7 Worte Dich unterstützen. Ich habe noch einen Vorschlag. Stell Dir Deine Ohnmacht in Gestalt eines Wesens vor und setze sie vor Dich hin. Dann schenk ihr liebevolle Aufmerksamkeit.
LG
Beate Waltrup