Leben im Jetzt
Viele kennen es nur zu gut, dieses Lebensgefühl, nie wirklich Zeit zu haben. Oft genug fahren die Gedanken Karussell, und wir nehmen zum hundertsten Mal die gleiche Kurve. Wir stecken in Konflikten fest und kauen das Verhalten anderer wieder und wieder durch. Gespräche mit Freunden und Kollegen drehen sich im Kreis. Wie können wir in solchen Momenten aussteigen und uns wieder mit dem Leben im Jetzt verbinden?
Ich erzähle mir die Geschichte, dass …
Dass Konflikte das persönliche „Kopfkino“ in Gang setzen, lässt sich nicht vermeiden. Verlieren wir uns in diesen Gedanken und halten sie für real, sind wir auf ungute Weise mit Gespenstern der Vergangenheit und mit Zukunftsängsten verbunden. Das hat in der Regel wenig mit dem zu tun, was ist. In solchen Momenten ist es hilfreich, uns bewusst zu machen, dass wir uns gerade eine Geschichte erzählen. Der CNVC-Trainer Robert Gonzales empfiehlt konsequent, vor jeden unserer Gedanken die Worte „Ich erzähle mir die Geschichte, dass …“ zu setzen und so Abstand zu schaffen. Auf diese Weise hören wir auf, den Konflikt weiter anzuheizen und unseren Ärger zu nähren.
Den Mut haben, Gefühle zu fühlen
Solange wir unbewusst sind, neigen wir dazu, unangenehme Gefühle zu verdrängen oder auf den anderen zu projizieren. In ersterem Falle schaden wir auf Dauer unserer Gesundheit, im zweiten Fall beschwören wir Streit herauf. Wir können unseren Ärger als Wegweiser zu tieferen Gefühlen nutzen. Wenn wir genauer in unseren Körper spüren, werden wir unter dem Ärger Gefühle wie Angst, Ohnmacht, Traurigkeit, Schuld, Scham oder Einsamkeit finden. Es ist verständlich, dass unser erster Impuls Abwehr ist. Verantwortung für diese Gefühle zu übernehmen und diese bejahend zu fühlen, bringt uns in Kontakt mit dem, was in diesem Moment in uns lebendig ist. Mutig durch die eigene Angst, dahinter liegt die Freiheit!
Von der Strategie zum eigenen Bedürfnis
Sobald wir in der Lage sind, unsere Gefühle zu fühlen, führen sie uns zu unseren Bedürfnissen. Gefühle und Bedürfnisse leben in der Gegenwart. Auf der Ebene des Bedürfnisses angekommen, werden wir offen dafür, neue Strategien zur Bedürfniserfüllung zu verhandeln bzw. in Betracht zu ziehen. Lösungen, bei denen alle Beteiligten gewinnen können, rücken dann oft mit Leichtigkeit in greifbare Nähe.
Mit dem Kamerablick einen gemeinsamen Startpunkt finden
Wir gewinnen den anderen am ehesten mit einer kurzen, wertfreien Wiedergabe des auslösenden Ereignisses für ein Gespräch. Der „Kamerablick“ ermöglicht es uns, das Wesentliche der Situation ohne Urteile und Bewertungen als gemeinsamen Ausgangspunkt im Jetzt zu definieren. Wir vermeiden es so, uns in der Geschichte, sprich in der Vergangenheit, zu verlieren. Danach ist unser Gegenüber in der Regel offen, auch unserer Gefühle und Bedürfnisse zu hören.
Bitten statt jammern
Im nächsten Schritt sollten wir uns ein Herz fassen und ausdrücken, was wir uns vom anderen wünschen. Nach einer klar geäußerten Bitte wird es dem anderen möglich, auf unsere Bedürfnisse einzugehen. Wichtig ist, dass wir unsere Bitten so stellen, dass sie hier und jetzt erfüllbar sind.
Mitgefühl zeigen
Auch das Handeln unseres Gegenübers wird durch Bedürfnisse bestimmt. Die Gefühle und Bedürfnisse des anderen empathisch zu erfassen, verbindet uns automatisch mit dem Jetzt. Diagnosen, Interpretationen oder Ratschläge führen uns in Vergangenheit oder Zukunft. Ehrliches Mitgefühl erfasst immer den aktuellen Moment. Wahre Souveränität erlangen wir, wenn uns kein noch so herausfordernder Vorwurf diesen Bezugspunkt verlieren lässt.