Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern

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„Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild sein, wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes.“
(Albert Einstein)

Um es vorweg zu nehmen: Kindern durch die Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation eine Welt zu zeigen, in der die Bedürfnisse nach Kooperation, Harmonie, Wertschätzung und gegenseitigem Respekt Erfüllung finden, erfordert Bewusstheit, Geduld und Beharrlichkeit. Es gibt keine einfache Lösung! Und dennoch: Jede gelungene Anwendung ist ein Grund zu feiern.

Respektvolles Handeln: Kinder lernen durch unser Vorbild

Kinder werden sich immer an unserem Vorbild orientieren, leider nicht an dem, was wir sagen. Wenn wir dem Kind durch unser Verhalten vermitteln, dass es unangenehme Konsequenzen haben wird, wenn es „nicht funktioniert“, wird das Kind lernen, sich z. B. anderen Kindern gegenüber ebenso zu verhalten.
„Wenn du dein Essen nicht aufisst, gibt es keinen Nachtisch“ wird zu „Wenn ich nicht den Roller haben darf, bin ich nicht mehr deine Freundin“. Nehmen wir einem Kind mit den Worten „gib sofort das Auto her, es gehört Robin“ das Auto des Spielkameraden aus der Hand, lernt das Kind „der Stärkere setzt sich durch“. Es wird bei nächst passender Gelegenheit einen Schwächeren suchen, den es dann ebenso behandeln wird. Schimpfen wir das Kind dann aus, erfährt es eine „Doppelbotschaft“, die es nicht begreifen kann. An dieser Stelle ist absolute Klarheit im eigenen Denken und Handeln gefordert.

Fremdbestimmtes Handeln: Angst vor Bestrafung oder Wunsch nach Belohnung

Marshall Rosenberg stellt mit Blick auf den Umgang mit Kindern sinngemäß zwei Fragen: „Was möchten Sie, dass das Kind tut?“ Und: „Aus welchen Gründen hätten Sie gerne, dass das Kind es tut?“ Immer dann, wenn ein Kind etwas aus Angst vor Bestrafung, Schuld, Scham, Verpflichtung oder dem Wunsch nach Belohnung tut, belastet das die Beziehung zwischen Kind und Erwachsenem. Das Kind reagiert in zunehmendem Maße mit Ärger, Groll und Trotz und wird zudem abhängig von dem extrinsischen Anreiz.

Empathische Verbindungen stärken das Selbstvertrauen des Kindes

Mit der Anwendung von Empathie gehen wir einen anderen Weg. Kinder spüren sofort, wenn wir nicht in Verbindung mit unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen sind. Eine Aufforderung, wie „leg dich doch ein bisschen hin, ich sehe doch, dass du ganz müde bist“ führt, wenn das Bedürfnis nach Spiel für das Kind im Moment viel größer ist, selten zum Erfolg. Ehrlicher wäre es in einer solchen Situation z. B.
mitzuteilen, dass ich selbst gerade müde bin und dringend Ruhe brauche. Vielleicht kann das Kind selber Vorschläge machen, wie die Bedürfnisse zu vereinbaren wären. Eine gründliche selbstempathische Klärung ist in jedem Fall von ausschlaggebender Wichtigkeit für das Gelingen der Kommunikation. Indem wir dem Kind unsere Gefühle und Bedürfnisse offenbaren, stärken wir die Verbindung. Das Kind lernt, die Gefühle und Bedürfnisse anderer Menschen wahrzunehmen und zu respektieren. Es übt sich darin, andere Menschen zu „lesen“. Statt sich schuldig zu fühlen oder sich zu
schämen, lernt das Kind die Auswirkungen der eigenen Handlungen einzuschätzen. Es erfährt die Freude, zu den Bedürfnissen anderer beizutragen. Sein gesundes Selbstwertgefühl wird gestärkt. Wir schaffen immer wieder Situationen, in denen das Kind sich stark und glücklich erlebt.

Beobachtungen formulieren statt Urteile fällen: Im Zweifel Fragen stellen

Statt zu bewerten, indem wir zum Beispiel die Worte „gut“ und „schlecht“ verwenden, teilen wir dem Kind im Kommunikationsprozess unsere Beobachtung mit. Idealerweise formulieren wir diese aus der Haltung heraus, dass sowohl wir selbst, als auch das Kind „o.k. sind“. Bewertungen und Interpretationen haben meist mehr mit uns selbst, als mit dem Gegenüber zu tun. Sie unterliegen unserem „persönlichen Filter“ und geben, genauer betrachtet, oft einen Ausblick auf eigene unerfüllte Bedürfnisse. Andererseits sind Interpretationen und Bewertungen ein Zeichen dafür, dass wir noch nicht wirklich verstanden haben, worum es dem Kind geht. Wir beurteilen Verhalten, weil wir es nicht verstehen. Hier kann die Frage „Wozu machst du das?“ Wunder bewirken.

Bitten statt befehlen: Eine nährende Herzensverbindung schafft Vertrauen

Im nächsten Schritt lösen wir uns von unserer Strategie. Stattdessen benutzen wir die allen Menschen gemeinsamen Gefühle und Bedürfnisse als Kommunikationsbrücke und sprechen schließlich im abschließenden Schritt eine Bitte aus, die dem Kind konkret zeigt, wie es zur Erfüllung unseres Bedürfnisses beitragen könnte. So entsteht im Kommunikationsprozess eine Verbindung von Herz zu Herz, die das Kind als nährend für seine seelische Entwicklung erlebt. Sagt das Kind „nein“, kann es sein, dass es noch nicht verstanden hat, was wir von ihm wollen. „Iss anständig!“ ist keine Bitte, aber auch keine „klare“ Handlungsaufforderung. „Bist du einverstanden, den Löffel andersherum zu halten?“, ist da schon wesentlich eindeutiger. Bei dieser Gelegenheit lernt das Kind an unserem Beispiel schrittweise, wie man ganz konkret um das bittet, was man möchte.

Wertschätzung: Die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes ernst nehmen

Das Kind erfährt Wertschätzung, wenn wir seine Gefühle und Bedürfnisse wahr und ernst nehmen und konkrete Bitten stellen. Gehört zu werden, ist ein wichtiges Grundbedürfnis. Mit der Zeit erweitert das Kind sein Repertoire an Fähigkeiten, die Bedürfnisse anderer im Blick zu haben, mit eigenen Strategien zu deren Erfüllung beizutragen und selber zu bitten. Unser offenes, authentisches Auftreten gibt dem Kind Orientierung und erfüllt ihm sein Bedürfnis nach Sicherheit. Das Kind erfährt Fühlen und Hören als kongruent und lernt zu vertrauen.

Autorität mit Klarheit: Nach und nach können Kinder mehr Eigenverantwortung übernehmen

Natürlich können wir Kinder nur Stück für Stück in die Eigenverantwortung entlassen. Das Kind ist aber in jedem Fall „gleichwürdig“. Wenn wir Autorität ausüben, ist es wichtig, dies in größtmöglicher Klarheit zu tun. Der Erwachsene kann z. B. den Schrank in eine Winter- und eine Sommerseite einteilen und dem Kind dann die Autonomie einräumen, innerhalb der Seite die Kleidung zu wählen.
In Gefahrensituationen kann auch die Anwendung „beschützender Gewalt“, z. B. in Form von körperlicher Macht (z. B. Festhalten, Zurückhalten …), durchaus sinnvoll sein. In diesem Fall bleibt die Möglichkeit, die Situation mit dem Kind/den Kindern in einem „friedlichen“ Moment aufzuarbeiten.
Gebrauchen wir Macht, um etwas zu erzwingen, so spricht das Modell der Gewaltfreien Kommunikation von „Macht über“. In Abgrenzung dazu sprechen wir von „Macht mit“, wenn wir Strategien verfolgen, die die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigen.

Gewaltfreier Umgang mit Kindern kann die Gesellschaft verändern

Wo wir die Bedürfnisse ins Zentrum unserer Wahrnehmung rücken, lösen sich Feindbilder auf. So trägt der gewaltfreie Umgang mit Kindern dazu bei, unser gesellschaftliches Leben ein Stück friedlicher zu gestalten. Natürlich gibt es Grenzen. Die Gewaltfreie Kommunikation allein kann keine sozialen, psychischen oder physischen Ungleichheiten auflösen. Sie wird sicher das höchste Maß an Wirksamkeit entfalten können, wenn unter allen Bezugspersonen der Kinder Einigkeit über ihre Anwendung besteht.

Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern: Die Kernfragen an uns selbst

  • Handle ich gemäß des kategorischen Imperativs: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“?
  • Bin ich mir eigener Bewertungen bewusst?
  • Bin ich mir über meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse klar, und habe ich diese mitgeteilt?
  • Kenne ich die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes?
  • Habe ich sichergestellt, dass das Kind konkret verstanden hat, was ich von ihm möchte?
  • Kann ich das Kind dabei unterstützen, eine klare eigene Bitte zu formulieren?
  • Verstehe ich wirklich, warum das Kind „nein“ sagt?
  • Habe ich dem Kind verständlich gemacht, warum ich „nein“ sage?
  • Bin ich in Fällen, in denen ich Autorität ausübe, klar?

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