Michel und die Geschichten … ein Weihnachtsmärchen von Beate Waltrup

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Stress zur Weihnachtszeit?

Dem Weihnachtsmann wird dieses Jahr alles zu viel. Bei dem Gedanken an all die Geschenke, die es zu verteilen gilt, fühlt er sich irgendwie müde und kraftlos. Deshalb hat er einen Gehilfen eingestellt, der ihn an Weihnachten bei der Arbeit entlasten soll. An sich eine gute Idee, wenn nicht Michel, so heißt der neue Gehilfe, seine ganz eigenen Ideen zum Fest entwickelt hätte. Anstatt, wie ihm geheißen, Geschenke zu verteilen, hat er beschlossen, den Menschen die Geschichten, die sie sich über sich selbst und andere erzählen, aus den Köpfen zu stehlen. Das kann ja eine schöne Bescherung werden.

Die Verwandten „fallen ein“

Franz steht heute Morgen mit einem etwas sonderbaren Gefühl auf. Gestern Abend hat er noch lange über das bevorstehende Fest nachgedacht und es hat ihn gegruselt bei dem Gedanken, wer morgen alles in sein Haus „einfallen“ wird. Onkel Robert, der „Aufschneider“, der ohne Unterlass über seine beruflichen Erfolge berichtet, ist eingeladen. Seine Schwiegermutter, die ihn immer bittet, liebevoller und nachsichtiger mit den Kindern umzugehen, wird natürlich auch kommen. Jetzt ist auf einmal alles ganz anders. Gerade sehen wir noch Michel grinsend das Haus verlassen. Entspannt in seinem Lieblingssessel, eine Tasse Kaffee neben sich auf dem Tisch, schmökert Franz nun in seinem Krimi. Gleich wird er mit seiner Frau zusammen die letzten Einkäufe erledigen. Irgendwie freut er sich auf den Heiligen Abend.

Ein Single feiert Weihnachten

Eben bricht auch Ulla auf. Sie lebt allein und ist bei Freunden eingeladen. Vergangene Woche hat sie ihren Kolleginnen noch einen langen Vortrag darüber gehalten, wie sehr sie seit jeher Weihnachten hasst und dass das Fest für sie gerne ausfallen dürfte. Gestern hat Michel eine ganze Ladung „alter böser Geschichten“ abtransportiert. Jetzt hat Ulla Lust auf Gesellschaft und freut sich auf die Freunde.

Erwartungen und Befürchtungen zum Fest

Wir schauen in der Goldknopfgasse vorbei. In Nummer 27 wohnt Familie Kluge und bereitet sich auf den Weihnachtsabend vor. In diesem Jahr ist es anders als zuvor. Der neue Gehilfe des Weihnachtsmanns hat bei den Kluges ganze Arbeit geleistet. Niemand hat etwas bemerkt. Nun kommen sie alle an. Es ist ein fröhliches Durcheinander. Es wird gescherzt, viel gelacht, man umarmt sich, Taschen mit Speisen und Geschenken wechseln von einer Hand in die andere und werden vorerst verstaut. Ein bisschen wundern sich die Kluges und ihre Gäste schon, dass alles sich so anders anfühlt als in den Jahren zuvor. Erwartungen und Befürchtungen hat Michel rechtzeitig aus dem Haus gebracht. Alles fühlt sich irgendwie leichter an. Mit Freude genießen sie die gemeinsame freie Zeit. Wo ist nur die Spannung geblieben, die sie in den Jahren zuvor gespürt haben? Mensch Michel!

Generationen unterm Weihnachtsbaum

Schmitzens waren eine der ersten Familien, bei denen Michel sein Werk getan hat. Gestern hat Monika Schmitz, ihre Tochter Anna noch einmal angerufen, um sich zu vergewissern, dass diese auch an alles gedacht hat. So lange sich Mutter Monika an Weihnachten im Familienkreis erinnern kann, wurde in ihrem Haus Weihnachten gefeiert. Um sie zu entlasten hat die Familie in diesem Jahr entschieden, das Fest zu den Kindern zu verlagern. „Ich habe mir früher immer Listen gemacht“, hat Monika ihrer Tochter am Telefon empfohlen, „um auch wirklich an alles zu denken“. Es gab einen kurzen Moment der Irritationen bei Anna. Hat sich ein bisschen so angefühlt, als könne sie ein Buch, von dem sie sicher weiß, dass es im Regal steht, nicht finden. Dann hat sie sich bei ihrer Mutter dafür bedankt, dass diese mit ihrem Anruf zum Gelingen des Festes, das sie so viele Jahre selbst ausgerichtet hat, beitragen wollte. „Fahrt bald los“, sagt Anna noch. „Wir freuen uns auf Papa und dich.“

Veganes Weihnachten

Bei den Nachbarn Rösner sitzen sie alle bei Keksen, Kaffee, Tee und Kuchen unter dem Weihnachtsbaum. Im Radio läuft Weihnachtsmusik. Matthias, der Schwiegersohn der Familie Rösner, hat sich eigene Kekse mitgebracht. Seit letztem Jahr ernährt er sich vegan. Als Schwiegermutter Charlotte ihm in alter Gewohnheit Milch in den Kaffee gießen möchte, kann er das mit einem entschiedenen „nein danke“ noch gerade verhindern. Ein Teil der Milch landet auf seiner Hand, die er schützend über die Tasse gehalten hat. Sie schauen sich an, holen Luft. Es ist, als wolle in beiden mit Schwung ein Motor starten. Dem ein oder anderen am Tisch geht es ebenso. Aber da ist, Michel sei Dank, nichts. Nicht einmal an die zähe Diskussion, die sich im letzten Jahr an einen ähnlichen Vorfall anschloss, können sie sich mehr erinnern. Lachend schauen sie sich an, Matthias wischt sich die Milch von der Hand und Schwager Udo denkt darüber nach, gleich einmal eines von diesen Plätzchen zu probieren. Erstaunlich, wie viel Zeit sie an diesem Weihnachtstag haben. Vergnügt beschließt die Runde, ein Spiel zu spielen.

Das hätte es früher nicht gegeben

In der Klarastraße sind die Jansens zuhause. Die Enkelkinder Sarah, Anton und Emil sind furchtbar aufgeregt. Der schöne Weihnachtsbaum, die große Runde, die anstehenden Geschenke. Das ist schon etwas ganz Besonderes. Alle passen auf, dass die kleinen „Energiepakete“, nichts vom Tisch herunterfegen. Gerade noch kann Opa Karl einen Zipfel von „bei uns hätte es so ein Theater früher nicht gegeben“ erwischen und fühlen, wie Wut in ihm hochsteigt. Dann ist es auch schon vorbei. Michel kommt, Schweiß auf der Stirn, gerade noch rechtzeitig und bringt Opa Karl´s Gedanken in Sicherheit. Opa Karl fühlt kurz Traurigkeit, die er nicht so recht einzusortieren weiß. Ohne eine Geschichte, die er sich dazu erzählen könnte, ist die Traurigkeit so schnell verflogen wie sie gekommen ist. Jetzt lachen sie alle zusammen mit dem kleinen Anton, der gerade mit dem für seinen kleinen Kopf viel zu großen Motorradhelm von Onkel Bodo um die Ecke biegt.

Pubertät und Weihnachten

Der sechzehnjährige Felix Glaser sitzt, seinen Laptop auf dem Schoß, in seinem Zimmer auf dem Bett. Gerade steckt sein Vater Markus den Kopf durch die Tür. „Kommst du zu uns rüber?“ fragt er und packt seinen Sohn freundschaftlich bei den Schultern. „Nööööö … keine Lust“ antwortet der. Da kann man wohl nichts machen denkt Markus und achtet beim Verlassen des Zimmers darauf, nicht versehentlich auf eine der Dinge zu treten, die auf dem Boden von Felix Zimmer liegen. Ein bisschen traurig ist Markus schon. Ohne weitere Gedanken ist das schnell vorbei. Markus kehrt zu den anderen im Wohnzimmer zurück. Felix hört in seinem Zimmer Lachen und Gesprächsfetzen von nebenan. Vielleicht wird er gleich doch mal drüben vorbeischauen. Michel, Michel! Da kann man ja nur erstaunt den Kopf schütteln.

Weihnachtsessen, diesmal ganz entspannt

Am Abend sitzen alle Familien an den gedeckten Tischen. Groß und Klein greifen ganz nach eigenem Geschmack zu. Wo sind nur all die Kommentare geblieben? Die eigene Lust ist der einzige „Kompass am Tisch“. Alle genießen ohne Reue, was und wieviel ihnen schmeckt. Im Schein der Kerzen hört man das Geschirr und die Bestecke klappern. Es ist irgendwie friedlicher und stiller als in den Jahren zuvor. Michel schleppt schwer an einem Sack, den er schmunzelnd mit „Ernährungsdiskussion“ beschriftet hat.

Der Weihnachtsmann trifft eine Entscheidung

Auch Michel und der Weihnachtsmann sitzen jetzt beim Essen und blicken auf die Menschen, die sie besucht haben. Gerade stoßen sie mit einem „guten Roten“ an und der Weihnachtsmann denkt im Stillen darüber nach, dass er Michel auch im nächsten Jahr gerne wieder dabei hätte.

Frohe Weihnachten und einen gesegneten Start ins Jahr 2017
wünscht von Herzen Beate Waltrup

11 Kommentare zu Michel und die Geschichten … ein Weihnachtsmärchen von Beate Waltrup

  • Liebe Beate,

    eine wunderschöne Geschichte, danke dir vielmals. Ich weiss ja nicht, was Michel sonst so treibt, aber sollte er noch Kapazitäten haben, könnte er sich doch auch bei anderen Anlässen nützlich machen…. .
    Herzliche Grüße und herzlichen Glückwunsch zur Geburt des Enkeltöchterchens

  • Hallo Beate,
    freu mich über dein Weihnachtsgeschichtengeschenk!

    Mögen wir Menschen doch einsehen wie sehr unser automatisches Denken unser Bewusstsein trübt. Dann können wir den Michel ja auch gerne öfters mal einladen und unser Leben mehr und mehr feiern.

    Ich wünsche Dir alles Gute und freudvolle Festtage.
    Gabriele Brosig

  • Danke für die etwas andere Weihnachtsgeschichte. Die Gedanken sind aktuell auch genau mein Thema zu dem ich gerade das ein oder andere Buch lese. Und daran sieht man wie schwierig es ist einfach im „Hier und Jetzt“ zu leben, weil die erlebten Geschichten so schnell in unserem Kopf aufpoppen und eben nicht immer ein Michel hilft. Aber wir haben ja die Chance unsere Gedanken als Gäste zu empfangen und ihnen empathisch zuzuhören, ohne danach gleich zu handeln.
    Deshalb nochmal herzlichen Dank für deine Anregung, Beate, und allen, die diese Geschichte lesen wünsche ich von Herzen ein ebenso frohes Fest, wie es die Menschen in dieser Geschichte erleben konnten.

  • Herzlichen Dank für die Geschichte. Ich habe beim Lesen gespürt, wie ich mich entspannte. Ich werde Michel zu mir einladen, bevor die Weihnachtstage beginnen.
    Danke für die Erinnerung!
    Astrid

    • Lieber Raimund,

      ich freue mich auch auf unsere Zusammenarbeit. Sie ja hat schon gut begonnen und bin sicher, dass wir gemeinsam einiges bewegen werden.

      LG Beate

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